30/12/2002

30/12/2002

 

 

„Ich sterbe in meinen Stiefeln“

 

Sopranistin Montserrat Caballé denkt noch lange nicht an Ruhestand und schenkt sich zu ihrem 70. eine Geburtstagstournee auch nach Berlin

 

„Wo ich meinen 70. Geburtstag feiere? Na, in Hamburg, in einem Konzert mit meiner Tochter“, erklärt Montserrat Caballé, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Eine strikte Trennung zwischen privaten und beruflichen Anlässen hat es für die Sopranistin nie gegeben. Schließlich hat sie vor 37 Jahren schon ihren Ehemann, den Tenor Barnabé Martí, auf der Opernbühne kennengelernt. Und auch ihre Tochter sieht sie eher in Konzerthäusern zwischen London und New York als in ihrem Landhaus bei Barcelona.Große Ereignisse müssen ausgiebig gefeiert werden. Montserrat Caballé unternimmt gleich eine ganze Geburtstagstournee. Am 4. März macht der Weltstar mit klassischen und romantischen Liedern und Arien auch in der Berliner Philharmonie Station.Mit ihren beinahe siebzig Jahren ist die pfundige Sängerin aus Barcelona rundherum zufrieden: „Ich habe viel Glück gehabt. Ich würde jede Minute noch einmal leben!“ Diese Lebensfreude teilt sich mit und zählt zu ihren Erfolgsgeheimnissen. Sie ist offen, humorvoll und herzlich im Gespräch. „Diva“, „Primadonna“, „Starallüren“ - solche Wörter wollen einfach nicht zu ihr passen. Die vielleicht populärste Opernsängerin der Welt hat die Bodenhaftung nie verloren. Die Traumkarriere hat sie nicht vergessen lassen, dass sie aus einer einfachen Arbeiterfamilie in Barcelona stammt.Schon als Elfjährige musste sie als Näherin in einer Fabrik zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. „Ich hatte Glück.“ Der Satz fällt während des Interviews immer wieder. Eine wohlhabende Familie ermöglichte der begabten, aber mittellosen Montserrat das Gesangsstudium. Der kometenhafte Aufstieg zu einem der gefeiertsten Gesangsstars des 20. Jahrhunderts, die bahnbrechenden Erfolge als Tosca, Norma, Maria Stuarda oder Salome an den bedeutendsten Opernhäusern der Welt hatten allerdings mehr mit Arbeitseifer, Selbstdisziplin und einer soliden Ausbildung als mit Glück zu tun.„Heute wollen junge, begabte Sänger sofort Karriere machen - und nach ein paar Jahren ist die Stimme kaputt. Ich habe erst einmal tüchtig gearbeitet und mir so eine Basis geschaffen“, erinnert sich die Sängerin. Drei Jahre hat sie in Basel, sechs weitere in Bremen im Opernensemble verbracht, ehe sie ihre große Chance nutzte. In New York sprang sie 1965 für Marilyn Horne in Donizettis „Lucrezia Borgia“ ein und wurde über Nacht zum gefragten Belcantostar.Trotz des Erfolgs hat sie ihre Stimme nicht überstrapaziert. Rollen, die ihr nicht lagen, hat sie immer abgelehnt. Sie hatte gute Ratgeber, zum Beispiel Maria Callas: „Wir haben uns von Frau zu Frau unterhalten, über viele, auch berufliche Dinge gesprochen. Als mich die Mailänder Scala als Lady Macbeth engagieren wollte, sagte sie: ¸Das muss ganz hässlich und brutal klingen. Für deine wunderbar klangschöne Stimme wäre das gefährlich Also habe ich es gelassen.“Auch ihrer Tochter Montserrat Martí, die in ihre Fußstapfen tritt, wünscht sie eigentlich eine grundsolide Karriere: „Es wäre gut für sie, in ein Ensemble zu gehen und die Basisarbeit an einem Opernhaus kennenzulernen. Aber sie ist schon so berühmt und ausgebucht“, findet Montserrat Caballé und ist doch selbst schuld an der Situation. Jahre lang ist die weltberühmte katalonische Sängerin mit ihrer Tochter im Schlepptau in Konzerten, bei Galas und Festivals aufgetreten. Sie hat ihr den schnellen Karrierestart ermöglicht, den sie sonst verurteilt.Sie selbst ist seit ihren Auftritten mit „Queen“-Sänger Freddy Mercury, der Olympiade und der Weltausstellung von 1992 einem Millionenpublikum bekannt geworden. Vor 750 000 Menschen hat sie im Oktober bei der Wiedereröffnung des Brandenburger Tors gesungen. Sie scheut sich nicht, aus dem klassischen Repertoire auszuscheren: „Diese Konzerte haben mir ein neues Publikum eröffnet. Menschen, die vorher nie klassische Musik gehört haben, kaufen jetzt meine Opernplatten“, erklärt Montserrat Caballé, die Deutschland als ihre künstlerische Heimat bezeichnet. Noch immer singt sie 80 bis 90 Mal im Jahr. Ihrem Entschluss, sich von der Opernbühne zurückzuziehen, ist sie längst untreu geworden. Dabei war sie auch in ihren besten Zeiten zwar als brillante Sängerin, aber nicht als fesselnde Darstellerin berühmt. Demnächst singt sie eine ganze Serie von Raritäten-Partien: Respighis „Marie Victoire“, Massenets „Marie-Magdelein“ und Donizettis „Maria Padilla“. Weniger bekannte Werke gehörten immer zu ihren Leidenschaften. Vergessene Opern von Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi und Haydn hat sie wiederbelebt.Auch wenn die Kräfte naturgemäß nachlassen - an den Ruhestand will Montserrat Caballé auch mit knapp siebzig gar nicht denken: „Soll ich warten, bis der Tod kommt? Ich habe viel Spaß mit meinem Beruf. Wie es im alten Western heißt: Ich sterbe in meinen Stiefeln!“





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26.08.2002

 

Montserrat Caballé, Diva mit Bodenhaftung

 

 

 

 

Die spanische Sopranistin Montserrat Caballé ist seit Jahrzehnten Stargast auf den  internationalen Opernbühnen. Mit dem Klischee der unnahbaren Diva hat sie allerdings nichts gemein; sie wirkt sehr bodenständig und zugänglich. Auch die Opernmusik habe nichts Elitäres an sich, sagt Montserrat Caballé. Diese Musikrichtung sei auf der Strasse entstanden und wende sich auch heute an uns alle.

 

 

 

Martina Bosshard: Was war das beste Erlebnis in Ihrer Karriere?

 

Montserrat Caballé: Am schönsten war mein erster Bühnenauftritt. Der fand 1956 in Basel statt; ich sang "La Bohème". Das Publikum war phantastisch. Gerne denke ich auch daran zurück, wie ich meinen Mann kennengelernt habe. Wir trafen uns bei der Vorführung von "Madame Butterfly"; er sang den Part des Tenors. Sechs Monate nach unserem ersten gemeinsamen Auftritt waren wir verheiratet.

 

 

Mit welcher Opernrolle identifizieren Sie sich am meisten?

 

Immer mit der letzten, die ich gesungen habe. Alle Rollen sind schön, in allen spürt man die Kreativität des Komponisten. Als Sängerin muss ich der Rolle und dem Komponisten dienen,  die Rolle soll sich nicht an mich anpassen. Sonst wird es zu persönlich und das ist nicht die Meinung in der klassischen Musik. Wichtig ist, dass man als Sänger den musikalischen Stil der Oper gut versteht und so die Persönlichkeit richtig interpretieren kann.

 

 

Sie haben jetzt schon eine sehr lange Karriere hinter sich. Gibt es noch Herausforderungen?

 

Auf jeden Fall. In meiner ganzen Karriere habe ich immer versucht, neue oder vergessene Opern zu entdecken und aufzuführen. Dies ist immer noch meine Leidenschaft. In diesem Sommer habe ich in Rom die "Kleopatra" von Jules Massenet, einem französischen Komponisten und Romantiker aus dem 19. Jahrhundert, gesungen. Das war ein wunderschönes Erlebnis.

 

 

Sind Sie immer noch nervös vor einer Vorstellung?

 

Ja, ich bin schon Monate vor der ersten Aufführung aufgeregt. Ich denke, das geht allen Künstlern so. Die Verantwortung gegenüber dem Publikum und den Veranstaltern ist gross, da spürt man schon den Druck. Aber sobald ich die Bühne betrete, ist die Nervosität weg und ich fühle mich ein bisschen wie zu Hause.

 

 

War es für Sie schwierig, Karriere und Familie unter einen Hut zu bekommen?

 

Überhaupt nicht. Ich musste die zwei Sachen gar nie trennen, denn meine ganze Familie liebt Musik. Meinen Mann habe ich durch die Musik kennengelernt und wir haben sehr oft zusammen gesungen. Ausserdem hat mein Bruder meine Karriere seit den Anfängen in Basel als mein Berater und Organisator begleitet.

 

 

Sie hatten ja auch schwierige Momente in Ihrer Karriere. Was gibt Ihnen die Kraft, um weiterzumachen?

 

Ich hatte verschiedene gesundheitliche Probleme. Sehr schwer war es auch, als meine Eltern starben, oder andere Menschen, die mir wichtig waren. In solchen Momenten ist man nicht in der Stimmung, um aufzutreten. Aber unsere Verträge sind zum Teil schon jahrelang im Voraus unterschrieben, da kann man nicht einfach sagen: „Entschuldigen Sie, ich weine und kann darum nicht singen“. Die Kraft zum weitermachen finde ich in der Musik. Ich liebe meinen Beruf, er ist wie eine Batterie für mich.

 

 

Was tun Sie in Ihrer Freizeit?

 

Ich male, zwar nicht besonders gut, aber es macht mir viel Freude. Ich finde das Malen faszinierend und kann mich dabei gut entspannen.

 

 

Oper gilt als Kunst für ein Elitepublikum. Wie könnte sie einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden?

 

Das ist schon passiert. In den letzten 25 Jahren hat sich die Opernwelt sehr geöffnet. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Sommerfestspiele. Diese Anlässe ziehen auch Menschen an, die sonst nicht in die Oper gehen. Auch die Medien haben viel zur Verbreitung der Opernmusik beigetragen. Viele Menschen lernen die Oper dank dem Radio oder dem Fernsehen kennen und werden sich bewusst, dass es sich um eine Musik handelt, die völlig normal und für alle zugänglich ist. Die Oper wurde ursprünglich auf der Strasse geboren, ging dann in den Palast und später ins Theater? jetzt ist sie wieder für alle da.

 

 

Sie haben einen Teil Ihres Lebens in der Schweiz verbracht. Haben Sie immer noch eine Beziehung zu diesem Land?

 

Natürlich, denn die Schweiz ist das Land, das mir am Anfang meiner Karriere eine Chance gegeben hat. Nach meiner Ausbildung in Barcelona versuchte ich zuerst in Italien ein Engagement zu bekommen. Nach dem Vorsingen sagte man mir dort: „Das Beste ist, Sie gehen nach Hause, heiraten und bekommen Kinder“. Als mich dann einige Zeit später das Opernhaus in Basel unter Vertrag nahm, war ich erleichtert. Ich habe auch gerne in der Schweiz gelebt und komme immer wieder für Auftritte zurück