17/12/1994 – Pforzheimer Zeitung

17/12/1994 – Pforzheimer Zeitung

 

 

Montserrat Caballé –

La assoluta Primadonna

 

 

In Italien wird Montserrat Caballé als „Primadonna assoluta“ verehrt, und dem italienischen Belcanto fühlte sich die Spanierin auch verpflichtet. Am 19. Januar gastiert die 60jährige Sopranistin mit dem Pianisten Manuel Burgueras, präsentiert von der PZ, in der Pforzheimer Stadthalle.

Mit Montserrat Caballé sprach PZ-Mitarbeiter Werner Stiefele:

 

 

 

Sie geben viele Gastspiele. Sehen sie sich die Städte an, in denen sie auftreten?

 

Normalerweise nicht. Bei mir ist es wie bei anderen Leuten: Ich besichtige fremde Städte im Urlaub. Während einer Tournee konzentriere ich mich auf meine Arbeit. Meist komme ich einen Tag vor dem Konzert an und bleibe im Hotel. Ich will mich nicht anstrengen oder mich gar erkälten, denn ich will dem Publikum das Beste geben.

 

 

 

Stellen sie sich vor, ein Intendant ruft an und möchte sie für morgen als Ersatz für eine krank gewordene Sängerin engagieren. Wie viele Partien könnten sie ohne Vorbereitung singen?

 

Es ist normal, daß man für Kollegen einspringt, denn morgen kann man selbst krank werden. Jetzt, in dieser Minute könnte ich die Salomé von Richard Strauss oder die Semiramide von Rossini singen. Oder Maria Stuarda von Donizetti, die Tosca von Puccini und viele andere.

 

 

 

Was sind ihre Lieblingsopern?

 

Am Anfang meiner Karriere habe ich „La Traviata“ sehr geliebt. Die „Salomé“ singe ich noch heute, die „Traviata“ habe ich seit 15 Jahren nicht mehr gesungen. Ich war eine sehr gute Traviata, und ich möchte keine schlechte Erinnerung hinterlassen.

 

 

 

Wie hat sich ihre Stimme im Verlauf ihrer 38 Bühnenjahre verändert?

 

Ich habe in den Mittellagen ein Volumen bekommen, das ich früher nicht hatte, und bin in Passagen, die früher etwas fragil waren, sicherer geworden. Andererseits habe ich die ganz hohen Töne heute nicht mehr. Die Farbe blieb unverändert.

 

 

 

Was soll eine junge Sängerin machen, damit ihre Stimme richtig aufblüht?

 

Erstens: Sie soll Geduld haben und nichts im Hauruckverfahren versuchen. Zweitens: Sie sollte versuchen, einen Festvertrag in Deutschland zu bekommen, um sich ein Repertoire zu bilden. Es ist wie mit dem Obst. Die Früchte müssen am Baum reifen und nicht zu früh abgeerntet werden und im Kühlhaus nachreifen. Nur dann wird es gut, reif und süß. Viel zu viele junge Sängerinnen blühen zwei oder auch fünf Jahre auf, und dann sind sie kaputt. Für mich waren meine Engagements in Basel und in Bremen eine zweite Hochschule.

 

 

 

Hatte ihr Auftritt bei der Eröffnung der Olympiade Rückwirkungen auf andere Konzerte?

 

Vielleicht kennen mich jetzt mehr Leute, weil sie die Übertragung im Fernsehen gesehen haben. Aber der Auftritt mit Freddie Mercury von 1987 hat mir ein ganz neues Publikum gebracht.

Als ich vor vier Jahren nach einer Vorstellung die Wiener Staatsoper verließ, wartete eine Gruppe junger Leute auf mich, und sie hatten die Platte von mir und Freddie Mercury. Einer sagte, er sei das erste Mal in einer Oper gewesen und habe gar nicht gewußt, daß die Frau, die neben Freddie so laut schreit, auch so schön singen kann. So wie er haben mir Tausende von jungen Leuten gesagt, daß sie dadurch zur Oper fanden.

 

 

 

Waren sie schon in einem Rockkonzert?

 

Natürlich war ich bei Freddie, und als ich jung war, auch bei den Beatles in London. Mit meiner Tochter war ich bei Bruce Springsteen.

 

 

 

Mitte der 60er Jahre hieß es, die Oper sei tot. Heute schreibt fast jeder Komponist wieder Opern. Wie erklären sie das?

 

Nach 1945, als der Krieg zu Ende war, haben sich die Leute vor allem um ihre Arbeit und den Wiederaufbau gekümmert. Dabei wurde die Musik unwichtig. Vielleicht hat es viele Komponisten verbittert, daß sie keine Möglichkeit hatten, ihrer Arbeit nachzugehen. Viele von ihnen haben Werke geschaffen und gesehen, daß nichts damit passierte.

Später gab es wieder Hoffnung und man hat geglaubt, daß man wieder kreativ sein kann. Vielleicht ist die Oper deshalb in den 70er und 80er Jahren wieder aufgeblüht. Aber bis heute sind wir zu keiner normalen Stabilität gekommen, denn die Welt ist schon wieder unruhig. Unter dieser Spannung leidet die Musik






1994 - Nov. - Reportage - ECOS [1.613 KB]







Juni 1994 - Debüt von Montserrat Martí in London [203 KB]


Ganz herzlichen Dank an Ulrike für dieses wunderschöne pdf-Dokument






1994 - Mai - Interview - AUDIO [369 KB]






Spiegel – 28/03/1994

Spiegel – 28/03/1994

 

 

„Striptease an der Met“

 

 

Starsängerin Montserrat Caballé über ihre Karriere und die Oper 

 

 

 

Frau Caballé, Sie gastieren fast ausschließlich im Konzertsaal, sind Sie opernmüde?

 

O nein! Aber nach meinem Herzkollaps in New York, 1985, haben mir die Ärzte von den strapaziösen Opernrollen abgeraten. Ich singe nur noch das, was ich kann und was mein Doktor mich lässt. In meinem Alter kann ich natürlich nicht mehr alles bringen – also nicht mehr die „Traviata“ mit ihren Spitzentönen, sondern Lieder von Brahms oder Richard Strauss, die mir stimmlich jetzt mehr liegen.

 

 

 

Die rauschenden Koloraturfeste mit Ihrer Lieblingskollegin Marilyn Horne sind damit auch passé?

 

Nein. Wir treten weiter gemeinsam auf und amüsieren uns.

 

 

 

Sie haben beide einen ausgeprägten Sinn für Komik.

 

Wir haben herrliche Storys erlebt. Zum Beispiel in Paris in Rossinis „Semiramis“. Da gab’s einen extrem rutschigen Bühnenboden. Und wir hatten das moniert. Bei dem schrecklich langen Duett im zweiten Akt standen wir immer auf einem Fleck. Nach dem Applaus sollte erst Marilyn und dann ich abgehen. Plötzlich flüsterte sie: „I can’t move.“ Ich: „Warum?“ Marilyn: „Meine Schuhe kleben fest.“

 

 

 

Ihre Beschwerde hat wohl jemand sehr ernst genommen.

 

Das kann man sagen. Ich wollte ihr helfen, konnte mich aber auch nicht rühren. Das Publikum wurde schon unruhig, am Pult ruderte hilflos der Dirigent. Wir rafften die Röcke und zogen, bis wir endlich freikamen.

 

 

 

Wie kam es denn zu der unverhofften Bodenhaftung?

 

Die Bühnenarbeiter hatten, in bester Absicht, Coca-Cola auf die Bühne gegossen. Unter unseren Füßen war während der endlosen Singerei das Zuckerzeug getrocknet.

 

 

 

Solche standfesten Freundschaften sind wohl eher rar im internationalen Gesangsbetrieb?

 

Nein, aber die 20 Prozent von uns, die ständig zanken und keine Freunde haben, machen so viel Lärm, dass alle denken, die restlichen 80 Prozent wären genauso verzickt.

 

 

 

Aber das entspricht doch den Erwartungen, die das Publikum in eine Vollwertprimadonna setzt.

 

Diese Diven, das sind doch genau die 20 Prozent, von denen ich eben sprach. Ich hab’ schon so viele überdrehte Primadonnenauftritte erlebt, die nicht zur Rolle passten. Ich will mich in die Musik versenken. Nach einer aufwühlenden Vorstellung kann ich nicht gleich wieder als Montserrat auf die Füße kommen.

 

 

 

Und wenn die Caballé mal ganz lustlos zur Arbeit geht?

 

Das kommt sehr selten vor. Beim Liederabend kriege ich mich leicht in den Griff. Ich sage dann zum Pianisten: „Heut’ geben wir die Zugabe am Anfang.“ Das ist meist ein Lieblingsstück von mir und bringt mich in Stimmung.

 

 

 

In der Oper aber hilft dann nicht einmal Ihr humoristisches Naturell.

 

Nein, da nicht. Früher habe ich ja Mozarts komisches Blondchen in der „Entführung“ gesungen. Blond steht mir überhaupt gut, mit so einer Perücke war ich auch Wagners Isolde.

 

 

 

Ein Fall von akutem Haarausfall hat Sie ja in New York in die Schlagzeilen gebracht.

 

O Gott, das war wirklich unfreiwillig komisch. Ich sang die Titelrolle in der „Ariadne“ von Strauss. Stellen Sie sich vor: In großer Robe und mit rötlicher Perücke hatte ich gerade meine Auftrittsarie hinter mir. Nun war die Zerbinetta mit ihrem Rezitativ dran, ich musste von der Bühne. Zu meinem Entsetzen aber stand die Kollegin nichts ahnend auf meiner langen Schleppe.

 

 

 

Sie leiden an chronischen Abgangsbeschwerden. Wie haben Sie diese denn bewältigt?

 

Diesmal ging’s total daneben. Ich musste etwas erfinden. Und so rief ich: „Zerbinetta, warum frisierst du mich nicht?“ Und dann ist es passiert: Statt sich zu bewegen, griff sie einfach mit langem Arm in meine Haare. In dem Moment stand ich aber auf, und ratsch: Da hatte sie meine Perücke in der Hand, und mein Kostüm sauste herunter. Die Zeitungen waren begeistert: „Caballé macht Striptease an der Met“.

 

 

 

Als Gag könnte eine solche Enthüllung auch einem Avantgarde-Regisseur einfallen.

 

Nicht mit mir. Jeder hat seine Grenzen. Regieexperimente sollte man nur mit moderner Musik machen. Eine „Tosca“, die in der Mussolini-Zeit spielt, lass’ ich mir noch gefallen, aber was mir, 1983 in Bonn, dieser Jorge Lavelli in Bellinis „Norma“ zumuten wollte, ging einfach zu weit.

 

 

 

Was wollte er?

 

Die Inszenierung spielte in einer Munitionsfabrik, und ich sollte eine Guerilla-Kämpferin sein, mit einer MP in einen Panzer springen und die berühmte Cavantine „Casta Diva“ singen.

 

 

 

Fürs Kunstturnen sind Sie nicht geschaffen.

 

Es war einfach unmöglich für mich. Der Regisseur wollte nur Eindruck schinden. Das passte weder zum Text noch zur Musik. Man darf das Wer eines Komponisten nicht verraten. Ein Regisseur sollte nie so eitel sein, die Meister übertrumpfen zu wollen.

 

 

 

Wer leistet sich denn noch diese Bescheidenheit?

 

Die wirklich Großen, Franco Zeffirelli etwa. Regisseure, die selbst vom Blatt singen, können gar nicht gegen die Musik inszenieren.

 

 

 

Sie sind in einer Zeit groß geworden, in der Wertreue oberstes Gebot war. Wie waren denn Ihre Lehrjahre in der Theaterprovinz?

 

Basel und Bremen waren ein Phantastisches Fundament für meine Karriere. Ich finde, jeder Sänger sollte unbedingt drei, vier Spielzeiten an einer deutschen Bühne arbeiten. das ist toll. Nur so kann man sich in Ruhe entwickeln und bekommt Routine.

 

 

 

Wie sind Sie als spanische Gastarbeiterin empfangen worden?

 

Herzlich. Ich war niemand und trotzdem jemand. Meine Bremer Nachbarn in der Parkstrasse haben mir und meiner Familie immer geholfen. Wir sind noch heute mit einigen befreundet. Aber es ist ja jetzt überall kälter geworden in der Welt. Zu mir als Sängerin sind die Leute nett, aber meinen die auch den Menschen Caballé?

 

 

 

Sie sind einmal, sehr erfolgreich, ausgebrochen aus der Opernwelt – in die Rockmusik. War das ein lustvoller Ausflug?

 

Ja, das war sehr schön. Der „Barcelona“-Song, den ich 1986 mit Popstar Freddie Mercury für die Olympischen Spiele aufgenommen habe, hat mir außerdem ein neues Publikum beschert.

 

 

 

Haben Sie die Popfans auch zur Oper bekehrt?

 

Einige schon. Als wir in Wien Rossinis „Viaggio a Reims“ aufführten, kamen tatsächlich 80 junge Leute mit dem Bus aus Bayern, um endlich die Frau zu bestaunen, die auf der Platte so laut mit Freddie schreit. Nachher wollten sie alle ein Autogramm von mir und schwärmten: „Wir wussten nicht, dass Oper so lustig ist. Wir kommen wieder.“ Als sie weg waren, scherzte Claudio Abbado, unser Dirigent: „Gut, dass es heute nicht Parsifal gab. Dann wären die nie wieder gekommen.“

 

 

 

Wie lange singen Sie noch?

 

Bis zu meinem Ende, zum Ende meines Lebens oder meiner Stimme.

 

 

 

Wollen Sie sich vorher noch einen Traum erfüllen?

 

Ja, unbedingt. Ich will 1996 in Griechenland, in diesem grandiosen Freilichttheater von Epidaurus, die Elektra singen. Die Musik von Richard Strauss ist für mich das Allerschönste. Er ist der wirklich letzte Romantiker, eine Welt in sich selbst, ein Ozean.